Speed-Dating in Kehl
Geflüchtete Ukrainer lernen Ehrenamtliche kennen
Kehl (st). 369 Geflüchtete aus der Ukraine leben inzwischen in Kehl; die meisten von ihnen wollen rasch Deutsch lernen. Beim Speed-Dating können sie Sprachpaten und Familien kennenlernen und dadurch die Sprache lernen
Erstes Zusammentreffen
Beim ersten Zusammentreffen der ehrenamtlichen Kehler mit geflüchteten Ukrainern in der Villa RiWa bleibt der ein oder andere Moment der Verwunderung über kulturelle Eigenheiten nicht aus: „Als ich erfahren habe, dass die Deutschen ihren Müll trennen, habe ich das überhaupt nicht verstanden“, sagt Mariia Kostiuk lachend in die Runde. Die Tische im Erdgeschoss des Gebäudes sind fast vollbesetzt. Im Obergeschoss des Gebäudes sitzt eine zweite Gruppe. Mehr als 70 Menschen sind anwesend, 18 davon sind Ehrenamtliche aus Kehl. Sie sprechen über unverfängliche Dinge wie ihre Lieblingsbands und -serien, Sport oder Brotbacken. Der Anlass: Geflüchtete Ukrainer sollen Menschen aus Kehl kennenlernen und sich mit ihnen vernetzen. Organisiert haben das Treffen die städtischen Integrationsbeauftragten in Zusammenarbeit mit dem Frauen- und Familienzentrum und der Gemeinwesenarbeit Kreuzmatt.
Speed-Dating nennt die städtische Integrationsbeauftragte Raya Gustafson die Kennenlernrunde. Jeder soll sich zunächst vorstellen und dann eine der vorbereiteten Fragen beantworten, die auf Zetteln notiert sind. „Dabei sollen sie alle mehr übereinander erfahren“, erklärt der Leiter der Gemeinwesenarbeit Kreuzmatt, Tilman Berger, den Zweck der Vorstellungsrunde, bevor er sie selbst eröffnet. Einige Geflüchtete sind zunächst etwas zurückhaltend, bemerkt Robyn Tropf vom städtischen Integrationsmanagement.
Unterstützung angeboten
Dass sich das nach einigen Minuten ändert, ist der Verdienst von Mariia Kostiuk und Ihor Orlov, die als Sprachmittlerin und -mittler fungieren. Sie übersetzen alles, was gesagt wird jeweils ins Deutsche oder Ukrainische. Mariia Kostiuk arbeitet als Kinderbetreuerin an der Falkenhausenschule und ist vor neun Jahren aus der Ukraine nach Kehl gekommen. Als der Krieg begann, war ihr sofort klar: „Ich muss meinen Landsleuten helfen.“ Deshalb hat sie der Stadt ihre Unterstützung angeboten. Auch Ihor Orlov wollte aktiv werden. Deswegen hat er sich dem Dolmetscherpool angeschlossen. Auch er kommt ursprünglich aus der Ukraine und lebt seit einigen Jahren in der Rheinstadt. Nichtsdestotrotz ist der Krieg auch an ihn ganz nah herangerückt. Seine Mutter, Roza Orlova, die auch anwesend ist, besuchte ihn im Februar in seiner Wahlheimat, als russische Soldaten in die Ukraine einmarschierten. In diesem Moment war klar: Ihr bereits gebuchtes Rückflugticket wird Roza Orlova nicht mehr benötigen. In den ersten Wochen nach Kriegsbeginn habe sie das Gefühl gehabt, dass die Ereignisse über sie hinweggerollt seien, erzählt sie.
Solidarität und Hilfsbereitschaft
Inzwischen habe sie durch die große Solidarität und Hilfsbereitschaft, die sie in Kehl erfahren habe, neue Hoffnung schöpfen können. Zum Treff-Café kommt sie nicht nur, um ihren Sohn zu begleiten, sondern auch, um so schnell wie möglich Deutsch zu lernen. Doch damit ihr und auch den anderen Geflüchteten das gelingt, benötigen sie Sprach- oder Familienpaten. Das sind Bezugspersonen, welche den Geflüchteten helfen, ihren Alltag im noch fremden Deutschland besser zu bewältigen. Längerfristig werden die sprachlichen Fähigkeiten durch die regelmäßige Kommunikation ausgebaut. Damit das funktioniert, sei gegenseitige Rücksichtnahme und respektvoller Umgang besonders wichtig, findet die Integrationsbeauftragte Robyn Tropf. Das Speed-Dating kann dafür nur eine Grundlage schaffen. Robyn Tropf ist jedenfalls zufrieden. „Es war ein gut gelauntes, produktives Treffen.“
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