Tagesstätte für Menschen mit sozialen Schwierigkeiten
Eröffnung in Kehl
Kehl (st). Der Bedarf ist schon lange vorhanden und war auch längst erkannt: Dem Zusammenwirken des Diakonischen Werks im Evangelischen Kirchenbezirk Ortenau, der katholischen Kirche, der Stadt Kehl und dem Ortenaukreis sowie ehrenamtlich Engagierten ist es zu verdanken, dass Kehl nach jahrelangen Vorbereitungen eine Tagesstätte für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten bekommt.
Soziale Balance
Mittendrin: Das Kehler Café Kanne ist im Gemeindehaus der Kirchengemeinde Sankt Johannes-Nepomuk auf der Insel eingerichtet. „Ich freue mich sehr, dass die Tagesstätte nicht irgendwo am Rand angesiedelt ist“, sagte Oberbürgermeister Toni Vetrano: „Das ist ein weiterer Baustein im Bestreben, die soziale Balance in unserer Stadt aufrecht zu erhalten.“ Er dankte dem Landkreis als Hauptgeldgeber für die neue Einrichtung dafür, „dass er den Rahmen geschaffen und der Sozialpolitik breiten Raum gegeben hat“.
Auch Georg Benz, Sozialdezernent des Landratsamtes, freute sich sehr, dass nach Offenburg und Lahr nun auch in Kehl eine Tagesstätte eröffnet werden könne: „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Bedarf für einen Ort besteht, wo Menschen, die in einer schwierigen psychischen und sozialen Situation stecken, Hilfe in Anspruch nehmen können.“ Er dankte allen Beteiligten für die enge Kooperation, der Stadt Kehl besonders für die angemessene Mitfinanzierung. Für Juliane Weerenbeck, die Geschäftsführerin des Diakonischen Werks Ortenau, handelt es sich um ein „einmaliges Projekt“ und für Pfarrer Alois Balint, den Hausherrn im Gemeindehaus Sankt Johannes Nepomuk, ist es gar ein Wunder, für das er „sehr dankbar“ ist.
Schon vor Jahren sei klar gewesen, dass Kehl eine solche Tagesstätte brauche, erinnerte sich Juliane Weerenbeck beim letzten Treffen der Partner vor der Eröffnung, schon damals seien zunehmend Durchreisende und Obdachlose in die dafür viel zu kleinen Räume der Bahnhofsmission gekommen. Man habe eine große Rahmenkonzeption geschrieben, der Landkreis habe Interesse signalisiert, die Stadt ihre finanzielle Beteiligung zugesagt, die Aktion Mensch Zuschüsse in Aussicht gestellt – dann hätten aber noch die Räume gefehlt. Als dann die Corona-Pandemie begann, habe sie das Aus für das Projekt befürchtet, räumte Juliane Weerenbeck ein, aber nein: Der Prozess habe sich eher beschleunigt. Die katholische Kirchengemeinde, die sich schon seit vielen Jahren um die Obdachlosen sorgt und Lebensmittel ausgibt, meldete sich im vergangenen Herbst mit dem Angebot, für die geplante Tagesstätte geeignete Räume zur Verfügung zu stellen. „Wir wünschen uns einfach, dass Menschen mit sozialen Problemen eine Anlaufstelle haben, mal duschen, Wäsche waschen oder sich im Winter aufwärmen können, eine warme Mahlzeit bekommen und ein offenes Ohr finden“, fasst die Geschäftsführerin des Diakonischen Werks die Anforderungen an die Tagesstätte zusammen.
„Hier geht es um Menschen, die sonst keine Schlagzeilen machen“, pflichtete ihr Toni Vetrano bei, „die aber trotzdem nicht abgehängt werden dürfen“. Das Zusammenspiel der verschiedenen Träger zeige, dass die Stadt im sozialen Bereich eine Vielzahl von Akteuren benötige; nur so könne Stadtentwicklung in Form von Sozialplanung gelingen, erklärte der OB und dankte dem scheidenden Fachbereichsleiter Bildung, Soziales und Kultur, Dr. Marcus Kröckel, dafür, dass auch er die soziale Balance in den zweieinhalb Jahren seines Wirkens in Kehl in den Vordergrund gestellt habe. Vor 20 Jahren, ergänzte Georg Benz, hätte man ein solches Angebot in Großstädten verortet – „heute ist das ganz anders“. Vielleicht habe die Bahnhofsmission eine Rolle gespielt, weil sie den Andrang nicht mehr habe bewältigen können, vielleicht habe Corona am Ende das Tempo in der Umsetzung erhöht, weil in den Räumen der Bahnhofsmission das Abstandhalten unmöglich gewesen sei, meinte er.
Die Sankt-Johannes-Nepomuk-Gemeinde wolle nicht nur Vermieterin für die Räume sein, betonten Pfarrer Balint und Pastoralreferent Martin Kramer: „Wir wollen uns auch engagieren“ und die Tagesstätte über die Grundversorgung hinaus ausbauen. So sei eine Ärztin auf die Gemeinde zugekommen, die in einem weiteren Raum einfache medizinische Behandlungen anbiete; auch zahnärztliche Behandlungen seien geplant. „Dienst am Menschen ist lebendiges Evangelium“, ergänzte Pfarrer Balint. Das Gemeindezentrum Sankt Johannes Nepomuk bleibe trotzdem bestehen, versicherte er, der große Raum stehe auch weiterhin der Gemeinde zur Verfügung: „Abends und am Wochenende ist es Gemeindehaus“, mit der Tagesstätte werde sich ein Miteinander entwickeln, darauf freue er sich.
Gabriele Gröger, Leiterin der Dienststellen Kehl und Achern des Diakonischen Werks, geht davon aus, dass sich, ähnlich wie in der Lahrer Schwestereinrichtung Café Löffel, nicht nur Menschen ohne festen Wohnsitz einfinden, sondern auch solche, die von Obdachlosigkeit bedroht sind. Wohnungslosigkeit sei ein aktuelles Thema und kein Thema, das nur die Tagesstätte betreffe, sondern „eines, das von vielen Schultern getragen werden müsse“. Sie sei daher froh, dass die Leiterin des städtischen Bereichs Sozialwesen, Christine Lux, den Arbeitskreis für Wohnungslose wiederbelebt habe.
Dr. Marcus Kröckel freute sich, dass die Tagesstätte noch während seiner letzten Arbeitstage in Kehl ihren Betrieb aufnimmt: „Wir helfen da, wo die Menschen sind, und bieten einen niedrigschwelligen Zugang.“ Daher sei für ihn die Lage genau die richtige. Was die Unterstützung für Wohnsitzlose angehe, so sei es gelungen, über die sozialen Partner hinaus auch die Firma Algeco dafür zu gewinnen, zehn Schlafplätze in fünf Containern bereitzustellen. Er erhoffe sich eine gute Kooperation und dass es gelinge, auf diese Weise auch für die Nächte einen Kälteschutz bereitzustellen.
Hintergrund
Der Betrieb der Tagesstätte für Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten kostet pro Jahr rund 190 000 Euro. In den ersten fünf Jahren wird sie mit 60.000 Euro jährlich von der Aktion Mensch gefördert. Das Diakonische Werk, welches die Trägerschaft übernommen hat, gibt aus Eigenmitteln 10.000 Euro dazu. Vom Restbetrag übernimmt der Ortenaukreis zwei Drittel (80.000 Euro) und die Stadt Kehl ein Drittel (rund 40.000 Euro). In der Tagesstätte können Wohnungslose oder von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen eine kostengünstige warme Mahlzeit erhalten, sich duschen, ihre Kleidung waschen und fachliche Unterstützung erhalten. Die Tagesstätte hat von Montag bis Freitag jeweils von 10 bis 13 Uhr geöffnet
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