Über wandelnde Lebenslagen im Schlössle Heiligenzell
"Ja, der alte Lindenbaum – und ich höre ihn erzählen"

Der Lindenbaum im Schlössle Heiligenzell im Bildband "Der Himmel über der Ortenau" | Foto: Thomas Kaiser
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  • Der Lindenbaum im Schlössle Heiligenzell im Bildband "Der Himmel über der Ortenau"
  • Foto: Thomas Kaiser
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Im Bildband "Der Himmel über der Ortenau" schreiben Persönlichkeiten über ihre Lieblingsplätze. Wir stellen einige Beiträge in loser Reihe vor. In dieser Woche erzählt Schwester M. Michaela Bertsch, Generaloberin der Franziskanerinnen zum Göttlichen Herzen Jesu in Gengenbach, über die Linde im Schlössle Heiligenzell in Friesenheim.

"Die alte Linde. Wieder einmal stehe ich vor ihr, schaue zu ihren Wipfeln empor, dem Himmel und der strahlenden Sonne entgegen. Ja, die alte Linde – und ich höre sie erzählen.

Das wunderschöne Anwesen war ursprünglich das Herrenhaus des Dampfziegeleibesitzers Hermann Graumann. Herrschaftliches Leben war zunächst auf dem Schlössle-Areal. Der feine Herr konnte das Leben genießen und gut feiern. Hermann Graumann verstand sein Dampfziegelhandwerk, aber mit Geld konnte er nicht umgehen. Eines Tages war er pleite. Das schöne „Graumännsche Gut“ wurde zwangsversteigert.

Joseph Himmelsbach, ein Holzhändler aus Oberweier, kaufte das Anwesen. Die Geschwister Fischinger aus Kürzell: Franziska, Magdalena und Maria kümmerten sich seit 1851 um Waisenkinder. 1871 kauften sie das Schlössle in Heiligenzell, es wurde Heimat für 13 Schwestern und 30 Kinder. Das Haus erhielt die kirchliche Weihe. Keine rauschenden Feste wurden mehr gefeiert, keine strammen Reiter auf schnellen Pferden ritten mehr in den Hof herein, keine Kutschen fuhren mehr vor. Auf dem Gelände wurde alsdann hart gearbeitet und gelernt. Mit Stroh flechten, Hut machen und den Erträgen der Landwirtschaft wurde der Lebensunterhalt der Schwestern und ihres Kinderheimes bestritten. Schwestern und Kinder waren auf dem Anwesen unterwegs. 1893 schloss sich die kleine Gemeinschaft der Heiligenzeller Schwestern den Barmherzigen Schwestern vom heiligen Franziskus in Gengenbach an.

1909 wurde das Kinderheim aufgelöst. Von nun an betreuten Schwestern von Gengenbach die Landwirtschaft, alten und kranken Schwestern wurde das Schlössle eine neue Heimat. Und die heilige Elisabeth, die ernannte Patronin des Hauses, hielt ihre schützende Hand über sie. So manche im Dienst erschöpfte Schwester liebte das Heiligenzeller Schlössle als „Jungbrunnen“.

Wie oft mag die alte Linde unter ihrem Schatten die Schwestern singen gehört haben: „Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum…“

Ja, die alte Linde hat viel gesehen, und das Leben in den unterschiedlichsten Farben und Nuancen auf dem Graumänschen Gut, dem Schlössle, wahrgenommen: Den reichen Fabrikanten mit seinen rauschenden Festen, selbstlose Schwestern, die Straßenkindern eine Heimat geboten haben, kranke und alte Schwestern, Schwestern, die in der Landwirtschaft hart gearbeitet und mit der Heiligenzeller Bevölkerung das Leben durch 121 Jahre geteilt haben.

Die alte Linde – ich laufe um sie herum und schaue das Anwesen an, das mir so gut gefällt. Ich spüre das pulsierende Leben früherer Jahre in mir. Doch dann erblicke ich Menschen, die heute hier wohnen, die aus fernen Ländern kommen und hier eine Heimat gefunden haben. Ich bin dankbar über das Zwiegespräch mit der Linde und denke, schön, Menschen finden Heimat. Unser Auftrag geht weiter."

Der Lindenbaum im Schlössle Heiligenzell im Bildband "Der Himmel über der Ortenau" | Foto: Thomas Kaiser
 „Der Himmel über der Ortenau“:  280 Seiten, Querformat, Hardcover, ISBN: 97-946225-03-4 | Foto: Kulturverlag ART + WEISE

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