Ihre Begleiterin durch die Woche ist Renate Schmidt
An(ge)dacht: Sünden, die man leider verpasst hat

Renate Schmidt

Da freut sich ein Mann auf seinen 90. Geburtstag. Ein halbes Jahr vorher lädt er Familie und Freunde ein. Auf der schön gestalteten Karte hat er geschrieben: „Von einem gewissen Alter an bedauert man nur noch die Sünden, die man nicht mehr begehen kann.“

Nett, nicht wahr? Und er meinte damit sicherlich diese sogenannten „Sünden“: „Ach, gerne würde ich mal wieder ein Stück Torte essen, aber das wäre schlecht für meinen Zucker; mal wieder ein schnelles Auto fahren; wie in der Jugend das Tanzbein schwingen; einem hübschen Mädchen hinterhergucken; ein Bier zu viel trinken“ – was man so als „Sünde“ bezeichnet: kleine Freuden, die einfach nur nett sind! Freuden, die Gott uns gönnt; und wo nur der Moralapostel den Zeigefinger hebt. Wie sehr gönnt uns Gott die Freude, die Leichtigkeit, den Genuss – und wie hat man den Glauben oft verdreht in ein graues, beengtes Leben, in dem man stöhnt über Vorschriften.
Unser Gott ist ein Gott, der uns Freude gönnt – ja: der für uns Freude will!

Sicher, die Freude geht uns oft verloren – durch die Sünde! Durch wirkliche Sünde! Sünde ist Zielverfehlung. Wirkliche Sünde ist der Abstand zu Gott. Was uns abhält von der Gemeinschaft mit ihm. Und das ist nun wirklich schlimm: Wenn ich Sorgen habe – und mein Herz wird schwer davon. Dinge, die ich nicht im Griff habe. Krankheiten. Die Zukunft überhaupt. Auch Sünden, die ich eben nicht „gern“ begangen habe, in der Vergangenheit…

Wie gut, dass Jesus gekommen ist, zu suchen und zu retten, was verloren ist (Lukas 19,10)! Ich bin verloren – ohne Gott. Wie ein Schaf, das sich verheddert hat in den Dornen. Wie eine Münze, die im Staub unter dem Schrank liegt – da gehört sie nicht hin. „Sich finden lassen“ heißt dann: ich empfinde seine Sehnsucht nach. Ich fange an, mit Gott zu reden. Was für ein Glück, sich finden zu lassen und mit Gott an der Seite zu leben.

Der Mann konnte seinen Geburtstag übrigens nicht mehr feiern, er ist vorher gestorben. Aber für Christen ist der Tod das Fest in Fülle, das schon hier begonnen hat. Warum sonst streuen wir bei einer Beerdigung oft Blütenblätter – wie bei einer Hochzeit?

Ernesto Cardenal sagte: „Wir sind noch nicht im Festsaal angekommen, aber wir sehen schon das Licht und hören die Musik“. Das ist die Einladung Jesu. Möchten Sie ihr nicht folgen?

Pfarrerin Renate Schmidt
Ev. Kirchengemeinden
Willstätt und Hesselhurst

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