"Seit 2008 ist die Zahl der Fälle wahnsinnig gestiegen"
Bereitschaftspflegefamilien nehmen Kinder und Jugendliche in akuten Fällen auf

Die Mitarbeiter des Jugendamts arbeiten eng zusammen. | Foto: cao
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Ortenau (cao). Es gibt verschiedene Gründe, warum Kinder und Jugendliche nicht bei ihren Eltern bleiben können. Oft besteht bei Kindeswohlgefährdung schneller Handlungsbedarf. Dann müssen auch die Mitarbeiter des Jugendamts zügig reagieren, vor Ort eine Gefährdungseinschätzung vornehmen und gegebenenfalls die Kinder in fremde Obhut geben. Eine Möglichkeit ist es, sie in Bereitschaftspflegefamilien unterzubringen, bis geklärt ist, ob sie überhaupt zurück in ihre Familien können.

"So eine Bereitschaftspflege ist eine Zwischenstation in einer akuten Krisensituation", erklärt Manuela Bruder. Die Sozialarbeiterin und -pädagogin vom Jugendamt übernimmt in solchen Fällen die Koordination der Bereitschaftspflegefamilie. "Derzeit gibt es neun Familien in der Ortenau, die kurzfristig Kinder und Jugendliche für eine Dauer bis zu 14 Wochen aufnehmen", erklärt sie, "so lange, bis die familiären Perspektiven geklärt sind." In den meisten Fällen wüssten die Eltern auch, wo ihre Kinder untergebracht sind.

"Mit den Eltern arbeiten wir zusammen, damit ein gemeinsamer Konsens gefunden werden kann", ergänzt der Leiter des Bereichs Sozialarbeit im Jugendamt, Andreas Linse. Ein Bereitschaftspflegeelternteil müsse eine pädagogische Ausbildung vorweisen, um der Situation gerecht zu werden. Linse erklärt, dass es dazu Menschen braucht, "die gut mit dem Verlust, dass die Kinder nicht bei ihren Eltern sein können, umgehen kann, auch um die professionelle Haltung zu wahren." Wichtig sei auch, dass die Eltern die Bereitschaftspflegeeltern nicht als Konkurrenz sehen. In akuten Krisensituationen müsse auch ad hoc entschieden werden. "Hier reden wir aber von extremen Fällen, sonst würden wir kein Kind gegen den Willen der Eltern woanders hinbringen", so Linse.

Die Mitarbeiter des Jugendamts wirkten gemeinsam mit dem Kommunalen Sozialen Dienst unter anderem an der Perspektivklärung mit. In dieser Zeit fänden Gespräche mit den Eltern statt, die Entwicklung, das Verhalten und Auffälligkeiten des Kindes würden beobachtet. Aufgabe sei es, die Familien zu stabilisieren und zu entlasten. "Die Hälfte der Kinder konnte bisher auch wieder nach Hause zurückkehren", berichtet die Mitarbeiterin des Jugendamtes. Für Kinder und Eltern sei es immer schlimm, wenn es einen solchen Einschnitt gibt, findet auch die Sozialarbeiterin und -pädagogin der Pflegestellenkoordination beim Jugendamt, Linda Schellenberg. "Meist geht es um Mißhandlungen, nicht nur körperliche auch psychische", bestätigt Andreas Linse. Seit zehn Jahren gebe es die Bereitschaftspflegefamilien. "Seit 2008 ist die Zahl der Fälle wahnsinnig gestiegen", erklärt Manuela Bruder mit einem Blick auf die Statistik. Seien es in der Ortenau im Jahr 2009 noch 13 Fälle gewesen, seien in 2017 bereits 47 gezählt worden. Insgesamt sei in diesen zehn Jahren 234 Mal in Krisensituationen eingeschritten und in Bereitschaftspflegefamilien vermittelt worden.
Wer denkt, dass solche Fälle nur in den Ballungszentren eintreten, der irrt. Auch im ländlicheren Raum habe es bereits einige Inobhutnahmen gegeben. "Das ist ein bewährtes, gutes und wichtiges Modell. Dass die Zahlen gestiegen sind, liegt daran, dass die Menschen hinschauen", findet Linse. Oftmals suchten Eltern selbst den Kontakt zum Jugendamt, weil sie Unterstützung bräuchten. Oder Kinder würden bei Lehrern oder Sozialarbeitern um Hilfe bitten. "Und eins ist klar: Wir sind nicht nur diejenigen, die Kinder wegnehmen, in erster Linie bieten wir Begleitung, Beratung und Unterstützung an", unterstreicht Andreas Linse ausdrücklich. Gemeinsam mit den Bereitschaftspflegefamilien, einige seien von Beginn an dabei, sei die Pflegestellenkoordination ein gewachsenes Team.

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