Ihr Begleiter durch die Woche
Das Gefühl zu haben, dazu zu gehören
Es versteht sich von selbst: wir Menschen sind Menschen. Klar doch, was sollten wir sonst sein. Und doch versteht es sich nicht ohne weiteres von selbst, dass wir das sind, was wir sind: nämlich Menschen.
Für manche zählt vor allem die Funktion: als Kunde, Wähler, Konsument, Verkehrsteilnehmer usw. Dann zähle ich nur als Ziffer oder als Fall.
Was man dagegen tun kann? „Man“ kann dagegen nichts tun. Aber „ich“. Ich erzähle Ihnen dazu eine Geschichte. Homer hat sie vor etwa dreitausend Jahren aufgeschrieben: die Geschichte von Odysseus. Er hat Schiffbruch erlitten, wird an Land gespült, verkriecht sich. Das kommt einem sehr aktuell vor. Er bekommt Kleider, gewinnt so wieder ein zivilisiertes Aussehen. Das ist nicht wenig. Er geht in die Stadt und bittet um Hilfe. Er bekommt sie. Das ist nicht ohne weiteres selbstverständlich. Doch erst als jemand nach seinem Namen fragt und er ihn nennt, kann er von seiner „Odysee“ erzählen, wie er die damals bekannte Erde durchwanderte, bis er den Ort gefunden hat, an dem er sich daheim fühlt.
Wenn mir Menschen von ihren eigenen „Irrfahrten“ erzählen oder ich sie von anderen erfahre, spüre ich, wie lebensnotwendig es ist, nach dem eigenen Namen gefragt zu werden, die eigene Lebensgeschichte erzählen zu dürfen. Kurz: das Gefühl zu haben, dazu zu gehören. Gegenseitiges Dazugehören macht uns erst zu dem, was wir sind: Menschen. So einfach wäre das.
Homer hat seine Geschichte einer Menschwerdung auch für uns geschrieben.
Gerhard Bernauer
kath. Pfarrer i. R., Offenburg
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