Ausbildungsmarkt
Große Herausforderungen für Zukunft
Offenburg (mak/st). Die Corona-Pandemie hatte den Ausbildungsmarkt in den vergangenen zwei Jahren ganz schön im Schwitzkasten. Mittlerweile normalisiert er sich, aber die Herausforderungen für die Zukunft bleiben groß. Das war der Grundtenor bei einer gemeinsamen Pressekonferenz der Agenturen für Arbeit Offenburg und Freiburg, der Kommunalen Arbeitsförderung Ortenaukreis, der Handwerkskammer Freiburg und der Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein.
IHK Südlicher Oberrhein
"Seit zwei Jahren haben wir eine neue Zeitrechnung", sagt Simon Kaiser, Geschäftsführer Aus- und Weiterbildung der Industrie- und Handelskammer Südlicher Oberrhein. Man sei auf einem guten Weg. Unter dem Strich kann die IHK mit 3.928 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen (Stichtag 31. Oktober) in ihrem Gebiet einen Anstieg von rund 1,9 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum vorweisen. „Wir hören aber keine Sektkorken knallen“, sagte Kaiser. Denn: „Die Nachfrage der Unternehmen ist deutlich höher. Wenn es mehr Bewerber gäbe, könnten wir noch ganz andere Zahlen vorlegen.“ 2019, also kurz vor der Pandemiewelle, waren es noch 4.267 neue Ausbildungsverträge. Die Nachfrage der Betriebe sei deutlich höher als noch vor 20 Jahren.
Das Thema weibliche Fachkräfte beschäftigt die IHK Südlicher Oberrhein ebenfalls. „Wir müssen leider einen rückläufigen Anteil junger Frauen in verschiedenen Berufen feststellen“, sagte Kaiser. Und weiter: „Das ist eine Entwicklung, die uns nicht zufriedenstellt.“ Kaiser erklärt sich diesen Umstand unter anderem mit der Corona-Pandemie, von der die Gastronomiebranche stark betroffen war. Die Bewirtungsbranche ist ein Feld mit einem traditionell hohem Frauenanteil, doch hierbei gebe es trotz des jüngsten Sondereinflusses durch die Pandemie auch einen langfristig abnehmenden Trend in Sachen Frauenanteil.
Die IHK registriert zudem einen kontinuierlich steigenden Anteil von Auszubildenden mit ausländischem Pass. An den neu abgeschlossenen Verträgen haben ausländische Staatsbürger einen Anteil von über 17 Prozent. Kaiser: „Ohne Migration wäre die Zahl neuer Ausbildungsverträge zurückgegangen. Wir sehen daher mit Freude, dass sich bundespolitisch mit der geplanten Novellierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes etwas bewegt. Wir hoffen stark, dass es für Betriebe weniger bürokratisch wird, Auszubildende aus dem Ausland zu rekrutieren.“ Das gelte auch bei der Anerkennung ausländischer Schul- und Berufsabschlüsse: „Oft passen sie nicht in unser Raster. Unser System muss sich hier ein Stück weit verändern, um noch ins globale System zu passen.“
Handwerk
"Theoretisch hätten wir Grund zur Freude", sagte Wolfram Seitz-Schüle, Geschäftsführer der Handwerkskammer Freiburg. Denn mit 2.249 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen (Stichtag 30. September) bilanziert die Handwerkskammer Freiburg einen leichten Anstieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum (2021: 2.241). Auf längere Sicht geht die Zahl der Neuverträge allerdings zurück, 2017 waren es 2.463. „Das Schwierigkeit, ausreichend Ausbildungswillige zu finden, wird immer größer“, sagte Seitz-Schüle.
Für die Ortenau ist der Rückgang der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge noch drastischer. In den vergangenen 15 Jahren musste die Handwerkskammer Freiburg einen Rückgang von über 30 Prozent konstatieren.
"Die Demografie schlägt voll zur", wirft Seitz-Schüle einen Blick in die Zukunft. Dass die Generation der Babyboomer, die jetzt in den Ruhestand gehe, „wird uns in den kommenden fünf Jahren, massiv Probleme bereiten“. Aus diesem Grund sei das Thema Umgang mit der Migration entscheidend. „Wenn es um die Zukunft geht und die Probleme immer größer werden, geeignete Nachwuchskräfte zu finden, dann ist eine aktive, arbeitsmarktorientierte Zuwanderungspolitik fundamental für uns.“ In diesem Jahr sind bereits mehr als 20 Prozent der neuen Ausbildungsverhältnisse im Gebiet der Handwerkskammer mit jungen Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft geschlossen worden. Zehn Jahre zuvor lag der Anteil erst bei rund neun Prozent.
Der Anteil von Frauen im Handwerk ist dagegen rückläufig. Die Quote weiblicher Lehrlinge liegt derzeit bei 16,1 Prozent, 2001 waren es fast 23 Prozent. Das fällt vor allem in „klassischen Frauenberufen“ auf. Sowohl im Friseur-Handwerk als auch im Fachverkäuferberuf im Lebensmittelhandwerk sind die Zahlen weiblicher Auszubildenden in den vergangenen Jahren deutlich rückläufig. In zukunftsorientierten Branchen wie Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik oder Elektronik sieht Seitz-Schüle dagegen großes Potenzial für weibliche Fachkräfte, hierbei steigt die Nachfrage kontinuierlich: „Wir können es uns bei einem Frauen- und Männeranteil von jeweils 50 nicht mehr erlauben, dass der Frauenanteil in Zukunftsberufen bei einem, zwei oder drei Prozent liegt“, sagte er.
Agenturen für Arbeit
"Die Chancen auf einen Ausbildungsplatz waren nie größer", wusste Theresia Denzer-Urschel, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Offenburg, zu berichten. Und weiter: „Die Sorge um den Fachkräftenachwuchs wächst. Es gibt fast keine Branchen mehr, wo es keine unbesetzten Stellen gibt.“ Im Ausbildungsjahr 2021/22 registrierte die Agentur in ihrem Bereich noch 100 Bewerber auf 134 freie Plätze. Besonders groß ist die Lücke beim Verkauf von Lebensmitteln, dort gibt auf 91 ausgeschriebene Ausbildungsplätze gerade einmal vier Bewerber. Damit steht der Bereich in Sachen Unterversorgung ganz oben auf der Liste. In der Gastronomie hingegen hat sich die Lage verbessert. Hierbei stehen 58 freien Ausbildungsplätzen zwölf willige Nachwuchskräfte gegenüber. Die Zahl freier Ausbildungsplätze habe mit 575 ein Rekordniveau erreicht.
Bei den zehn beliebtesten Ausbildungsberufen der Männer im Bereich der Agentur für Arbeit Offenburg gab es drei Neuzugänge. In den Top Ten sind jetzt auch der Fachinformatiker Systemintegration, der Tischler und der Automobilkaufmann. Bei den Frauen ist die Mediengestalterin Digital und Print der einzige Neuzugang bei den zehn beliebtesten Ausbildungsberufen.
Der Ausbildungsmarkt im Gebiet der Agentur für Arbeit Freiburg ähnelt dem in Offenburg. Dort kamen 2021/2022 auf 3.869 freie Ausbildungsstellen 3.464 Bewerber. Auf 112 Stellen kommen 100 Bewerber. Während auch dort der Verkauf von Lebensmitteln mit 13 potenziellen Nachwuchskräften auf 137 verfügbare Plätze die größte Lücke aufweist, gibt es auf der anderen Seite Branchen, die zumindest ein rechnerisches Überangebot an Bewerbungen haben. Besonders beliebt ist der Bereich Veranstaltungs-, Kamera- und Tontechnik mit 32 Bewerbungen auf fünf Stellen, auch in der Holzbe- und -verarbeitung gibt es 88 Bewerber auf 19 freien Ausbildungsplätze. Unter dem Strich, so Andreas Finke, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Freiburg, wird das Thema Nachwuchskräftesicherung aber immer anspruchsvoller: „Die Jugendlichen sind überfordert im Markt der beruflichen Möglichkeiten, viele drehen noch Schleifen, gehen andere Wege.“ Das liegt zum einen daran, dass die Möglichkeiten der Berufsberatung in der Corona-Zeit deutlich eingeschränkt waren, zum anderen gibt der Arbeitsmarkt es auch her, dass junge Menschen direkt ohne Berufsausbildung ein Arbeitsverhältnis eingehen.
Finke appelliert vor allem an die Eltern. "Sie sind der wichtigste Berufsberater. Unterschätzen Sie ihre Rolle hierbei nicht", so Fink. Er habe vor allem zwei Botschaften. Der Beratungsort Schule sei von besonderer Wichtigkeit, um sich frühzeitig mit dem Thema zu beschäftigen. Seine zweite Botschaft richtete er an die Arbeitgeber. "Stellen Sie mehr Praktikumsplätze zur Verfügung und investieren Sie in junge Menschen." Man habe mittlerweile einen Bewerbermarkt, bei dem sich die Arbeitgeber bei potentiellen Mitarbeitern bewerben müssten.
KOA
Auch im Gebiet der Kommunalen Arbeitsförderung Ortenaukreis macht sich Fachkräftemangel bemerkbar. Zwischen 2017 und 2021 ist die Zahl der Leistungsbezieher im Sozialgesetzbuch II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) im Alterskorridor zwischen 15 und 25 Jahren um knapp 27 Prozent gesunken. Sprich: Immer mehr Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen waren, finden eine reguläre Beschäftigung im Arbeitsmarkt. Die Zahl der Ausbildungsplatzbewerber mit Bezug von Sozialleistungen geht seit Jahren zurück, führte Armin Mittelstädt, Amtsleiter der Kommunalen Arbeitsförderung Ortenaukreis, abschließend aus.
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