An(ge)dacht
Die Zeit für ein Umdenken ist überfällig
Die namhafte Organisation Oxfam hat vorgerechnet, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich massiv geweitet hätte. Das blieb nicht unerwidert. Eine andere Organisation hielt prompt dagegen: Oxfam hätte vielfach falsch gerechnet. Sie gehe davon aus, dass ein Uniabsolvent mit BaFöG-Schulden arm sei. Ein in Bombay lebender ungelernter Bettler der mit einem Euro pro Tag auskommen muss, aber keine Schulden hat – weil er keinen Kredit bekommt–, dagegen nicht.
Der Realität sind Mathematik und das Grundgesetz egal
Mathematik lügt nicht. Mathematisch ist Oxfams Rechnung korrekt. Sie wägt kalt Soll und Haben ab. Aber wie schon Winston Churchill fest gestellt haben soll: "Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast." Armut ist relativ und Mathematik berücksichtigt weder Perspektive, Hoffnung, Wünsche oder Träume und schon gar nicht den Artikel 1 unseres Grundgesetzes: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Der Realität sind die Mathematik als auch das Grundgesetz nämlich egal. Armut herrscht auch bei uns und Armut rührt die Würde der Betroffenen an.
Wie der allgegenwärtigen Armut begegnen?
Wie also dem Fakt begegnen, dass immer mehr Menschen sich immer weniger Ressourcen teilen müssen, während sich eine kleine Schar Betuchter das Gros der Ressourcen bereits aneignet hat und sekündlich reicher wird? Wie der allgegenwärtigen Armut?
Mahatma Ghandi und Abraham Lincoln
Begnügen wir uns mit dem, was wir haben und halten es im Übrigen mit Mahatma Ghandi: „Wirklich reich wird man nur mit dem, was man nicht begehrt“? Oder lassen wir uns von Abraham Lincolns: „Manche Menschen kann man immer täuschen und manchmal kann man alle Menschen täuschen. Aber man kann nicht alle Menschen immer täuschen“ anstacheln zu Lenins „Eine Revolution von Zeit zu Zeit hat noch keinem Volk geschadet“?
Die Zeit für ein Umdenken ist überfällig. Zeit dafür, das Kapital in die Verantwortung der Gemeinnützigkeit zu nehmen, auch. Aber auch dafür, uns selbst nicht länger aus der Verantwortung zu stehlen, in dem wir nur darauf warten, dass etwas Revolutionäres passiert. Es ist Zeit zu erkennen, dass wir mit dem, was auch wir vermögen, und sei es nur im Kleinen, etwas weltbewegendes leisten können. Ein guter erster Schritt wäre, Nächstenliebe in unserem Leben wieder einen Platz einzuräumen und diese konsequent zu leben – ohne wenn und aber.
"Chrischt sii heißt nämlig nit nur vun Chrischtus z'schwätze. Chrischt sii, des heißt vor allem, sin Läbe z'läbe wie Chrischtus g'läbt het!" – so Ulrich Zwingli, Schweizer Reformator. Denn arm ist auch, wer nicht sieht wie reich wir durch Jesus Christus beschenkt sind. Das muss man nicht schönrechnen.
Dieter Fettel, Prädikant Evangelische Landeskirche Kirchenbezirk Lahr
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