Wenn der Staat erbt – Zahl der Fälle im Kinzigtal steigt
Bis zu 90 Prozent der Nachlässe sind überschuldet, Angehörige schlagen aus
Ortenau (bos). Oft muss das Land einspringen, wenn kein Erbe zu finden ist oder niemand das Erbe annimmt. Fiskalerbschaften treten immer häufiger auf, das zeigen auch die Zahlen für die Städte und Kommunen im Kinzigtal. Kamen diese im Jahr 2010 gerade dreimal vor, nennt der Landesbetrieb Vermögen und Bau Baden-Württemberg (VB-BW) auf Anfrage des Stadtanzeigers acht Fälle für das Jahr 2017, die aktuell allerdings noch nicht abgewickelt sind.
Doch wenn der Staat erbt, bedeutet das nicht, dass ihm ein finanzielles Plus entsteht: "Prinzipiell sind die Nachlässe in bis zu 90 Prozent der Fälle überschuldet, wenn sie bei uns landen. Genau aus diesem Grund schlagen die Angehörigen oder per Testament Festgesetzten aus und der Fiskus wird festgestellt", berichtet Judith Strecker, Referatsleiterin Recht / Fiskalerbschaften der VB-BW, Amt Freiburg. Das gilt auch für das Kinzigtal. In den drei Fiskalerbschaften aus dem Jahr 2010 waren die Verbindlichkeiten höher als das vorhandene Vermögen. Für die acht Fälle aus dem Jahr 2017 gilt ähnliches: Gerade ein Mal existiert ein Vermögen von 8.500 Euro und keine Schulden. Demgegenüber steht ein Fall aus Hausach. Hier stehen Schulden in Höhe von 560.000 Euro aus, ein Vermögen ist nicht vorhanden.
Das Land kommt meist dann ins Spiel, wenn die Erbschaft ausgeschlagen wird oder kein Erbe zu finden ist. Dann erklärt das Nachlassgericht das Land zum Erben. Bevor es soweit ist, werden alle bekannten Angehörigen von den Nachlassgerichten kontaktiert. Allerdings ist die Erbenermittlungspflicht seit einiger Zeit nicht mehr bindend für die Nachlassgerichte. "Das bedeutet, dass es teilweise durchaus weitere Erben, neben den bereits bekannten, geben könnte, diese von den Nachlassgerichten jedoch nicht ermittelt werden", so Strecker. Werden Erbrechte rückwirkend angemeldet und nachgewiesen, ist das Land zur Herausgabe der Erbschaft verpflichtet. "Die neuen Erben werden dann so gestellt, als ob sie von Anfang an Erben und somit Eigentümer der Erbschaft gewesen wären; das Land dagegen nur Erbschaftsbesitzer", erklärt Strecker. Interessant ist, dass der Herausgabeanspruch des Erben gegen den Fiskus nach 30 Jahren verjährt. Wenn das Land erbt, bedeutet das aber nicht, dass es auf den Kosten sitzen bleibt. "Liegt eine Überschuldung des Nachlasses vor, wird ein Antrag auf Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens beim zuständigen Amtsgericht gestellt", so Strecker. Bei einer Verfahrenseröffnung übernimmt ein Insolvenzverwalter die Nachlassabwicklung: "Das Land ist damit nicht mehr verfügungsberechtigt." Auch in Hausach wurde ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt, dann allerdings "mangels Masse abgelehnt", wie das Freiburger Amt informiert. "Mit dem Ablehnungsbeschluss wurde die Haftungsbeschränkung des Landes auf das vorhandene Vermögen erreicht. Dies bedeutet, dass das Land als Zwangserbe nur in Höhe des Nachlassvermögens haftbar gemacht werden kann."
Betrachtet man das Thema ortenauweit, liegt das Kinzigtal im hinteren Feld: "Am Häufigsten fallen Fiskalerbschaften in Offenburg, Kehl oder Lahr an. Wahrscheinlich ist es der Größe der Kommunen geschuldet, dass dort wenige 'Treffer' zu verzeichnen sind", erklärt Strecker. Fehlende Zahlen für das Jahr 2018 sieht man in Freiburg in der Notariatsreform, die zum 1. Januar in Kraft trat, begründet: "Es kommen aktuell nur sehr wenige bis keine Fälle aus den verschiedenen Amtsgerichten bei uns an. Wir gehen davon aus, dass sich die neuen Nachlassgerichte zunächst in die ganzen Alt-Fälle der bisherigen Notariate einarbeiten müssen und die Fälle nach und nach bei uns eintreffen", so Strecker.
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